"Nichts ist, wie es scheint..."
Es ist sonderbar: Descartes hob den Denker aufs Podest, da wucherte der Zweifel. Als die Mythologie der Wissenschaft wich – Blitz und Donner waren nicht länger Göttersache, Zeus durfte getrost in Pension gehen – just in dem Augenblick, da die Aufklärung das Zepter übernahm, schlug die Geburtsstunde der Verschwörungstheorie. Ganz so, als kehrten die Menschen am Tor zur Erkenntnis schaudernd um. Warum? Die Wissenschaft begann ihre Welt zu entzaubern. Früher hatte Gottes unergründlicher Ratschluss Katastrophen zu verantworten. Da boten Moleküle und Formelsammlungen keinen gleichwertigen Ersatz. Vor allem ließen sie das wichtigste missen: Den Schuldigen. Das haben manche den Forschern bis heute nicht verziehen.
Gerücht und Verschwörung, Lüge und Geheimnis bauen seither an ihrer Welt in der Welt. Hier gelten andere Regeln. Feste Überzeugungen stemmen sich jeder Erkenntnis entgegen. Die gewollte Wirklichkeit ist zäh. Was macht es, wenn arrivierte Medien sich kopfschüttelnd abwenden? Verschwörungstheoretiker bilden eigene Plattformen. Ihre Zirkel verströmen den Duft der Exklusivität. Sie alleine kennen die Wahrheit. An ihrem Universum perlen Beweis und Logik ab wie der Sommerregen an einem Cabrio-Dach.
Das wirkt mitunter lächerlich. Dann ist es nicht so schlimm. Aber es hatte zu allen Zeiten auch fatale Folgen. Wer schuld ist am Unglück der Welt, hat sein Recht auf Leben verwirkt: „Hexen“ und Freimaurer, Juden und Zigeuner bezahlten ihr Anders-Sein mit ihrem Leben. So obskur die Geschichten auch waren, wurden sie doch geglaubt.
Denn der Mensch ist geradezu verliebt ins Geheimnis. Er zieht der nüchternen Ratio das dürftigste Gedankenspiel vor. Weil es ihn besser unterhält? Weil es ihm Macht verleiht über andere? Weil er lieber erfühlen als ergründen will? Wir wissen es nicht. Aber am Ende des Semesters – so viel ist sicher – wird nichts sein, wie es war.
Vorstand und Beirat, August 2019