Herbstsemester 2023
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01. Okt - 04. Dez 2023

Grenzen

Für ein ehrgeiziges Hotelprojekt in Madrid gestaltete die iranisch-amerikanische Architektin Zaha Hadid den ersten Stock: 15 Zimmer weiß, 15 vollständig schwarz. Schlaf- und Badezimmer, Wände und Kommoden gehen fließend ineinander über. Die Räume haben weder Ecken noch Kanten. Sie werden oft gebucht, aber nicht selten bitten Gäste nach der ersten Nacht leise um Umquartierung. Sie halten die Entgrenzung nicht aus.

Denn dafür sind wir nicht gemacht. Der Mensch kann ohne Grenzen nicht leben. Er braucht sie, um Dinge unterscheiden zu können. Nur so wird er handlungsfähig. Auch er selbst ist begrenzt. Zumindest religiösen Menschen erscheint der Tod nicht als Ende, sondern als Linie zwischen dieser und der anderen Welt.

Eine Grenze schützt mich. Sie definiert den Raum meiner Entfaltung: Familien, Freundschaften, politische Gruppierungen, Länder. Sie grenzt unseren Bewegungsdrang ein, doch macht sie auch neugierig: Was liegt hinter der Grenze? Unentdecktes Land. So trägt jeder Grenzpfahl schon, wenn er in die Erde gerammt wird, den Anreiz zur Grenzüberschreitung in sich.

Weshalb verursachen Grenzen so viel Leid in der Welt? Grenzziehungen sind Balanceakte. Gute Grenzen erleichtern das Leben. Sie fördern Respekt und lassen doch Nähe zu. Die schlechten aber behindern die freie Entfaltung stärker, als es notwendig und sinnvoll ist. Ruppig verwehren sie den Zutritt. Oder den Austritt – so wird der heute noch Geschützte morgen zum Gefangenen.

Lassen Sie uns ein Semester lang durchs Grenzland streifen, an geografischen, seelischen, sprachlichen Grenzen entlang. Und auch die eigenen Grenzen ausloten? Wir wollen sehen.