Vom Mythos zur Wahrheit - Die großen Erzählungen
Ob Bilder oder Skulpturen, Noten, die ein Violinschlüssel gerade noch bändigt, oder verschlungene physikalische Formeln; was Michael Köhlmeier schreibt und ein Kind in den Sand malt – immer sind es Geschichten. In dem Maß, in dem wir sie begreifen, formen sie uns. Sie sind das Salz der Erde. Mit Leichtigkeit nur so hingesagt oder gehaltvoll vorgetragen, das ist einerlei. Eine jede hat ihren Kern. Er überliefert die Essenz. Auch wenn die ältesten Überlieferungen im Dunkeln gründen, wissen wir doch: Ohne sie wäre die Welt nicht, was sie ist. Auch ganz prosaisch nicht: Oder ist die Mathematik, die einzig den Bauplan des Universums zu beschreiben in der Lage ist, im Grunde nicht eine Sprache, um erzählt zu werden?
Der Mensch erzählt, seit er die Bühne betreten hat. Erst hört er zu. Dem perlenden Wasser, dem Windhauch einer Dämmerung. Er sieht und spürt, so lernt er. Und gibt Erlerntes weiter. Erst das Teilen macht Wissen nutzbar. Das Staunen – die erste philosophische Disziplin – wäre nie geboren worden, hätte uns die Welt nicht ihre Wunder offenbart. Hätten wir nicht zugehört.
Die Welt war dem Menschen immer ein Rätsel. Mütterlich und feindlich zugleich, sein Topos, in den er durch Zeugung und Geburt hineingeworfen wird. Er erschließt sich ihm nie zur Gänze. Doch jede neue, mühsam der Natur abgetrotzte Erkenntnis ist es wert, erzählt zu werden. So liegt das Wissen der Welt heute vor uns wie ein kostbarer Teppich, der aus Geschichten gewoben wurde. Wir wollen ihn in diesem Semester da und dort ein wenig aufknüpfen. Und so den Blick wagen auf den Webstuhl der Zeit.