Kann man Sprachen (ver-)erben?
Es ist schon ein ziemliches Problem, dass wir Sprache brauchen, um über Sprache zu reden. Wir tun dies oft, indem wir eine Fülle von ausdrucksstarken Metaphern verwenden. Wir sprechen über Sprachen, als ob es sich dabei um Organismen handelte, die einander bedrohen, verdrängen, die (aus)sterben oder wiederbelebt werden können. Oder wir stellen uns vor, dass Sprachen wie konkrete Objekte über Generationen hinweg im gleichen (natürlich guten!) Zustand erhalten bleiben können.
In meinem Beitrag geht es darum zu zeigen, warum diese Bilder der Realität nicht standhalten. Sprachen sind nun einmal weder Organismen noch Gegenstände, sondern es handelt sich um abstrakte Kenntnissysteme, in die wir auch keine direkten Einblicke haben, weil sie sich gut verborgen in unseren Köpfen befinden. Die Grundlagen dieser Kenntnissysteme haben wir uns bereits in unserer frühen Kindheit in Eigenleistung aufgrund des sprachlichen Angebots unserer Umwelt angeeignet und dabei keineswegs einfach nur übernommen, wie mit uns gesprochen wurde. Es wurde also nicht wirklich etwas „vererbt“, sondern wir haben mit architektonischer Präzision ein sprachliches System annäherungsweise „nachgebaut“, allerdings unter Ausnutzung diverser Spielräume.
Wir tragen im Laufe unseres Lebens auf vielfältige Weise dazu bei, dass sich Sprache(n) ständig verändern, dass dabei Varietäten obsolet werden und neue entstehen. Ich werde in meinem Beitrag auch darauf eingehen, warum der Wandel sprachlicher Systeme und unseres Sprachgebrauchs in viel stärkerem Maß als bisher in Schulen thematisiert werden sollte, zumal die Dynamik des Wandels in unmittelbarem Zusammenhang mit unserer lebensweltlichen und damit auch emotionalen Verortung und Selbstwahrnehmung steht.