27. Mär. 2023, 09:30 - 11:30 Uhr

Europa und seine Grenzen

Die Schwierigkeit beginnt bereits bei der räumlichen Abgrenzung des Kontinents. Diese korrespondiert mit inhaltlichen Zuschreibungen von Antike, Christentum, Aufklärung und industrieller Transformation, Parlamentarismus und Rechtsstaat als besondere europäische Errungenschaften. Anstelle all dies als regionale Entwicklungen zu begreifen, speisten sie eine universalistische Anmaßung, die Europa zum Zentrum der Welt und zum Vorbild für nachholende Entwicklung weltweit erklärte.

Bei näherem Hinsehen gliedert sich Europa – staatenübergreifend – in kulturelle Teilräume, die sich über Austausch und gemeinsame Werte mit Regionen in angrenzenden Kontinenten enger verbunden sehen als mit der vermeintlichen Einheit Europas: die Rede ist vom atlantischen Europa, dem Mittelmeer- und Balkanraum sowie vom eurasischen Europa in all ihrer Vielfalt. Zuerst Südeuropa, dann Westeuropa beanspruchten aufgrund ihrer führenden Rolle in der kolonialen Expansion allerdings bereits seit langem die Definitionsmacht, was Europa ist und übertrugen diesen Führungsanspruch auch auf die Europäische Union.

Grenze und Grenzziehung dienen in diesem Vortrag als „Brille“, um Raumbildung, Staatswerdung, transkontinentales Ausgreifen mit ihren klein- und großräumigen Ein- und Ausschlussmechanismen im Zeitenlauf Revue passieren zu lassen. Erscheinungsformen der Territorialität (gefasst als Aneignungspraxis von Raum) spiegeln sich in unterschiedlichen Typen der politischen Grenze – vom Punkt zur Linie, vom mittelalterlichen Herrschaftskonglomerat zum Flächenstaat, vom Nationalstaat zur Union. Nicht zuletzt soll es auch darum gehen, unter welchen Bedingungen Menschen, Waren und Ideen diese politischen Grenzen überschreiten können.

Weiterführend:

  • Europa als Weltregion. Zentrum, Modell oder Provinz? (Hg. zusammen mit Thomas Ertl und Hans-Jürgen Puhle). Wien 2014: nap
  • Grenzen. Räumliche und soziale Trennlinien im Zeitenlauf. Wien 2018: Promedia