Dr. Irina Scherbakowa

Geboren 1949 in Moskau

Studium und Werdegang

Irina Scherbakowa studierte Germanistik und Geschichte an der Moskauer Staatlichen Universität und promovierte 1972 in Germanistik. In den folgenden Jahren arbeitete sie hauptsächlich als Übersetzerin deutscher Belletristik und als Journalistin. Ende der 1970er Jahre begann Irina Scherbakowa, Tonbandinterviews mit Opfern des Stalinismus zu sammeln, seit 1991 forscht sie in den Archiven des KGB.

Ihre universitäre Laufbahn begann sie 1992 als Dozentin an der Russischen Staatlichen Universität für Humanwissenschaften Moskau. Dort lehrte sie bis 2006 im Bereich Oral History und visuelle Anthropologie. Sie war Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin, in Wien und Freiburg, sowie Gastprofessorin an den Universitäten in Salzburg, Bremen und Jena. Irina Scherbakowas Forschungsgebiete umfassen Oral History, Totalitarismus, Stalinismus, Gulag und sowjetische Speziallager auf deutschem Boden nach 1945, kulturelles Gedächtnis in Russland und Erinnerungspolitik.

Als Autorin und Herausgeberin hat Irina Scherbakowa zahlreiche Bücher zu den Themen Stalinismus und Erinnerungskultur veröffentlicht, viele davon sind in deutscher Sprache erschienen. Große Beachtung fand zuletzt das gemeinsam mit dem deutschen OsteuropaHistoriker Karl Schlögel verfasste Dialogbuch „Der Russland-Reflex. Einsichten in eine Beziehungskrise“ (2015).

Neben Irina Scherbakowas wissenschaftlicher und publizistischer Arbeit zeichnet sie ihr außerordentliches zivilgesellschaftliches Engagement aus. Seit 1988 ist sie Mitglied von „Memorial“, damals die erste unabhängige, zivilgesellschaftliche Organisation der Sowjetunion. „Memorial“ setzt sich für die Aufklärung der sowjetischen Repression und den Schutz der Menschenrechte im heutigen Russland ein. Irina Scherbakowa ist Leiterin der Jugend- und Bildungsprogramme, koordiniert Oral History-Projekte sowie den alljährlichen, landesweiten Schülerwettbewerb „Der Mensch in der Geschichte. Russland im 20. Jahrhundert“. Im Oktober 2016 wurde „Memorial“ durch das russische Justizministerium auf die Liste „ausländischer Agenten“ gesetzt.  Memorial International wurde 2021 vom Obersten Gericht der RF liquidiert.

2022 wurde Memorial mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Irina Scherbakowa ist Mitglied diverser Stiftungen, wie beispielsweise des Kuratoriums der Gedenkstätte Buchenwald in Weimar. Sie sitzt im internationalen Beirat der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin. 2005 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, 2014 mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik. Seit 2010 ist Irina Scherbakowa Ehrenmitglied des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin.

Irina Scherbakowa lebt seit März 2022 in Israel und in Deutschland.

Preise und Auszeichnungen (Auswahl)

2022 Memorial erhält den Friedensnobelpreis
2022 Marion Dönhoff Preis
2017 Goethemedaille
2014 Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik
2013 Medaille der Menschenrechtsbeauftragten der Russischen Föderation
2005 Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland
1994 Katholischer Journalistenpreis für den Film „Alexander Men. Treibjagd  auf das Sonnenlicht“ (WDR 1993)

Publikationen (Auswahl)

Russland und Deutschland. Aspekte einer wechselvollen Beziehung, Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, 2020
Die Hände meines Vaters. Eine russische Familiengeschichte, Droemer, 2017
Der Russland-Reflex. Einsichten in eine Beziehungskrise, Mitautor: Schlögel Karl, Edition Körber-Stiftung, 2015
Gulag. Texte und Dokumente 1929 – 1956, Mitautorin: Julia Landau, Wallstein Verlag, 2014
Gulag. Spuren und Zeugnisse 1929 – 1956, Mitautor: Volkhard Knigge, Wallstein Verlag, 2012
Zerrissene Erinnerung. Der Umgang mit Stalinismus und Zweitem Weltkrieg im heutigen Russland, Wallstein, 2010
Unruhige Zeiten. Lebensgeschichten aus Russland und Deutschland, Edition Körber-Stiftung, 2006
Russlands Gedächtnis. Jugendliche entdecken vergessene Lebensgeschichten, Edition Körber-Stiftung, 2003