Was die Liebe vermag
Am 4.1.2024 verließ die fünfjährige Lisa P. gegen 3.30 Uhr ihr Kinderzimmer und drang in das Schlafzimmer ihrer Eltern ein. Günther P. (36) schlief, seine Frau Katharina P. (34) erwachte durch das Knarren der Zimmertür. Sie bemerkte den Schatten ihrer Tochter in der Dunkelheit, hob die Bettdecke und wenig später schmiegte sich das Kind an seine Mutter. Es hatte schlecht geträumt, zitterte ein wenig, beruhigte sich nun aber sofort. Der Vater erlitt am Morgen einen leichten Schock, weil ihm ein Kinderfuß unmittelbar ins Gesicht ragte, blieb aber unverletzt.
So etwas lesen wir nie. Hätte Lisa P. ein Tranchiermesser in Händen gehalten, zierte sie die Schlagzeilen. Warum sind Augenblicke sich verströmender Liebe nicht der Rede wert? Was macht sie so unbedeutend, indes jedem Indiz von Hass unsere ganze Aufmerksamkeit zuteilwird? Gibt es zu viel Liebe? Ist sie deshalb zur Selbstverständlichkeit verkommen? Das Gegenteil scheint der Fall.
Mit einer wegwerfenden Handbewegung verweigert eine junge Frau die Zeitung. Dieser Morgen soll schön werden. Da haben Mord und Elend keinen Platz. Auch schaltet sie immer öfter um, wenn im Fernsehen Nachrichten verlesen werden. Viele tun das, weil sie die Bilder nicht ertragen können. Die fünfjährige Lisa P., die in den Armen ihrer Mutter erwacht ist, nähme sich widersinnig aus zwischen explodierenden Granaten und toten Leibern. Dabei hat sie etwas zu sagen. Das Kind hat noch kaum die Augen geöffnet, da formen ihre Lippen schon den Satz: „Ich hab Dich lieb!“
Dieses Semester reden wir von der Liebe in all ihren Facetten. Denn sie wird dieser Tage weit unter ihrem Wert geschlagen.