Frühjahrssemester 2019
post-thumbnail
11. Mär - 30. Jun 2019

Heimat - eine Annäherung

Sie gehen nackt durch ein hohes Tor in die Wüste. Die Frau greint hemmungslos, der Mann bedeckt seine Augen. Aber es gibt kein Zurück. Masaccio lässt einen bewaffneten Engel über ihren Häuptern schweben. Sein Finger weist die Richtung: Fort! Hinweg! So führt ausgerechnet die Darstellung einer Vertreibung den Besucher hinein in die Brancacci-Kapelle von Florenz, die viele andächtig als Sixtinische Kapelle der Frührenaissance bezeichnen.

Die Vertreibung aus dem Paradies zwingt Eva und Adam dazu, sich neu zu beheimaten. Wie wichtig muss Heimat also sein, wenn die Bibel ihren Verlust an den Anfang stellt? Gerade einmal eine von mehr als 1000 Seiten nimmt die Erzählung in Anspruch, und doch kann sie jedes Kind herbeten. Als denkmöglich schlimmste Bestrafung werden die ersten Menschen aus ihrem Zuhause gerissen.

Nun ist der Mensch doch seit jeher ein Wanderer. Auf mutigen Pfaden ins Ungewisse entfaltet er Forschergeist und Erfindungsreichtum. Legt seinen Talenten die Heimat nicht zwangsläufig Ketten an? Muss er nicht hinaus in die Welt? Und sei es, um als reiner Tor ähnlich dem Parzifal sein Glück zu suchen?

Ja, in eng gesteckten Grenzen erstickt er. Seine Gaben verkümmern. Auch deshalb trägt jedes Menschenleben den Kern der Grenzüberschreitung in sich. Aber bei Seneca lesen wir: „Einem Schiff ohne Hafen ist kein Wind der richtige.“ Und selbst der listenreiche Odysseus küsst, nach 20-jähriger Fahrt, tränenblind die Heimaterde Ithakas. Also doch und immer wieder: Heimat.

Was sie uns bedeutet? Wir wollen sehen…

 

Vorstand und Beirat, Jänner 2019