Liebe Freundinnen und Freunde des Montagsforums, 

Natürlich hätte Bettina Barnay auch ein anderes Zitat nehmen können, zum Beispiel: 

Estragon: Komm, wir gehen.
Wladimir: Wir können nicht.
Estragon: Warum nicht?
Wladimir: Wir warten auf Godot.

Aber dann wäre ja alles verraten worden, der Autor Samuel Beckett und der Titel seines berühmtesten Stückes, das am 5. Januar 1953 vom Théatre de Babylone in Paris uraufgeführt wurde. Der irische Literaturnobelpreisträger, hat „Warten auf Godot“ in französischer Sprache geschrieben. Er war ja ursprünglich britischer Staatsbürger, wurde aber nach der Unabhängigkeit Irlands 1921 auch auf dem Papier Ire. Geraucht hat er übrigens wie ein Schlot, nur keine Zigarren. Das wissen wir auch aus seinen Briefen. Beckett hat nie gerne telefoniert. „Am Telefon bin ich nicht zu gebrauchen, das ist noch schlimmer als Auge in Auge“, schrieb er 1966 an seine langjährige Freundin Jocelyn Herbert. Überliefert sind unzählige Briefe, denen man auch einen ärztlichen Rat aus seinen letzten Lebensjahren entnehmen kann: „Verbot, die zwei Brillen gleichzeitig zu tragen. Weniger trinken. Weniger rauchen.“ Dieser vermessene Übergriff in sein Universum dürfte an Beckett abgeperlt sein wie Wassertropfen auf einem kühlen Glas Bier in der flirrenden Sommerhitze.

So viel zu Beckett, der uns mit seinem Theaterstück in die größtmögliche Unbestimmtheit stößt, in eine Welt voller Unklarheit und Doppeldeutigkeit, und da wollen wir nicht bleiben. Es kommt uns einfach zu bekannt vor. Aber Bettina wäre nicht ein so ausnehmend liebenswerter Mensch, zeigte sie uns nicht einen Ausweg: Mit einem einzigen Wort tut sie das, sie schreibt „Wunderkammer“.

Wunderkammer. Selbst wer den Begriff nicht in der Renaissance verortet, wer nur das Wort allein betrachtet, gerät ins Staunen. Wir stehen an einer Wand. Da ist eine Tür. Und dahinter liegen … Wunder! Ist das nicht großartig? Haben wir uns das nicht immer gewünscht, von Kindesbeinen an? 

Als ich noch sehr viel kleiner war, zierten die Wand neben meinem Kinderbett drei Abziehbilder. Sie sahen ein wenig aus wie gemalt, wie Delfter Porzellan. Drei schwer beladene Segelschiffe waren es, die unter vollen Segeln dem Rauputz zu entkommen suchten. Ostindien-Kompanie, 17. Jahrhundert? Kann gut sein. Ich hatte sie im Tauschhandel meinem Freund Bertram abgeluchst. Und jetzt ging ich jede Nacht an Bord. Das war mein Tor in die Wunderkammer…

Jahre später hab ich dann eine wirkliche Kunst- und Wunderkammer betreten. Sie steht noch, im Schloss Ambras, hoch über Innsbruck. Wir verbrachten damals ein paar Urlaubstage. Vater hatte mich dem Anlass entsprechend augenzwinkernd ausstaffiert: Mit Schwert, Schild, Helm und Brustharnisch aus Plastik. Das legte ich nicht mehr ab. Auch beim Frühstück nicht, im Hotel. Mein fünf Jahre älterer Bruder muss sehr gelitten haben. Doch Gott ist gerecht. In Ambras stießen wir auf die Rüstung des Zwerg Thomele, das hat ihn sehr entschädigt.

Wirklich maulaffenfeil hielt ich aber erst, als wir durch eine Tür unversehens die Wunderkammer betraten. Erzherzog Ferdinand II. hat darin so ziemlich alles zusammengetragen, was im 16. Jahrhundert unerklärlich und sonderbar gewesen ist. Ein Glasglockenklavier und einen Pokal als Rhinozeros-Horn, fremdartige Musikinstrumente und metallene Spielfiguren, denen eine verborgene Mechanik Leben einhauchte, Fabelwesen und ein Korallenkabinett…

Und so zeugt die erhaltene Sammlung bis heute von einem einmaligen Augenblick der Menschheitsgeschichte: In den frühen Jahren der großen Entdeckungen, als der Europäer sich Zug um Zug immer mehr Teile auf der Landkarte der Welt erobert und zu eigen macht, technische Erfindungen macht sonderzahl, da kehrt noch einmal mit Macht das Wunder zurück. Und der wohlhabende Sammler der Renaissance schenkt ihm einen besonderen Ort, er hütet ihn wie einen Schatz. Er bewahrt sich die Fähigkeit zu staunen. 

Staunen ist unendlich wichtig. Aristoteles nennt es den Anfang allen Philosophierens. Philosophieren beginnt, wenn die vertraute, alltägliche Welt ihre Selbstverständlichkeit verliert. Wenn wir nur mehr staunen können.

Können Sie das auch? Für heute gibt es kein Rätsel, dafür eine Frage: Wie sieht es denn in Ihrer Wunderkammer aus? Haben vielleicht auch Sie ein Objekt, dass Ihnen sonderbar und wundervoll zugleich erscheint? Dann erzählen Sie uns davon. 

Wir sind gespannt!

Achten Sie auf sich und bleiben Sie gesund,

herzlichst,

Ihr Thomas Matt