Liebe Freundinnen und Freunde des Montagsforums,
Wenn Thomas Matt und ich in Kindheitserinnerungen schwelgen, dann hat das durchaus positive Auswirkungen auf unsere Psyche. So die Kindheit eine überwiegend erfreuliche war, tut die Erinnerung daran gut, besonders die gustatorische. Diese Erkenntnis stammt nicht von mir, sondern von einer Psychologin mit der ich vor Jahren zu tun hatte und die mir riet, in Krisensituationen Lieblingsspeisen meiner Kindheit zu essen (besser noch, sie von meiner Mutter kochen zu lassen). Damals sind mir als Erstes Béchamelkartoffeln eingefallen.
Bei Thomas Matts Erwähnung der Erdbeertörtchen aus dem Bregenzer Café Rosette floss mir nicht nur das Wasser im Mund zusammen, Gleiches taten einige Erinnerungen, die im Kinderzimmer meines Kopfhauses aufs Wiedererwecken gewartet hatten. Aus den Fluten des dergestalt entstandenen Memorabilien-Sees entstieg die Bäckerei Vochazer in der Maurachgasse in Bregenz. Die alte Frau Vochazer pflegte mich mit den Worten „Wia goht’s da Tilla?“ zu begrüßen. „Tilla“ war meine Großmutter mütterlicherseits. Die, mit der ich manchmal am Freitagabend „Der Kommissar“ mit Erik Ode schauen durfte, die immer Lyoner vorrätig hatte und alte Bregenzer Ausdrücke wie „Momele“.
Eine Mata Hari – denn sie war es, nach der Thomas Matt gefragt hatte – eine Mata Hari war Tilla wahrlich nicht, wohl aber eine Oma wie sie im Bilderbuche stand: Mit weißen Haaren, an Festtagen perfekt onduliert und dezent lila getönt. Kreuzworträtsel zu lösen war ihre große Leidenschaft und wie sie Puppenkleider genäht und gestrickt hat war meisterhaft!
Meisterhaft waren auch die Kokosbusserln vom Vochazer, aber genug jetzt mit dem Schwelgen in Erinnerungen an Bregenzer Institutionen. Wir haben eh schon ein schlechtes Gewissen all jenen gegenüber, die nicht aus Bregenz sind.
Können sich die Dornbirnerinnen und Dornbirner unter den Mofos übrigens ans Café Dietl erinnern?
Das ist noch nicht die Frage der Woche und davon soll jetzt auch nicht die Rede sein, sondern davon, dass wir heute unfassbar aktuell gewesen wären mit unserem Montagsforum Vortrag von Ulrich Schnabel. Er hätte uns nämlich erklärt, warum wir Menschen erstaunlich schlecht darin sind, die Zukunft vorherzusagen und warum wir selbst wegweisende Ideen anfangs oft ignorieren. Er hätte uns auch Vorschläge gemacht, wie wir uns besser auf das Neue einstellen und die Zukunft in unserem Sinne gestalten können. Aber da das Leben immer noch keinen Konjunktiv kennt, wenden wir uns der „Kunst, das Gute im Dunklen zu sehen, das Schöne im Zerbrochenen, das Entzückende im Unvollkommenen“ zu.
„Wabi-sabi“ heißt diese Kunst. Wenn Sie jetzt grad Wasabi gelesen haben, dann weiß ich, dass ich mich in guter Gesellschaft befinde. Man sollte es gründlich lesen, das Buch „hoffentlich“ von Clemens Sedmak, in dem ich den Begriff „Wabi-sabi“ entdeckt habe. Clemens Sedmak war 2013 zu Gast beim Montagsforum, erinnern Sie sich?
Obwohl ich Bücher gegen die Krise wenig schätze, weil sie sich ja letztlich mit dem beschäftigen womit ich mich grad sehr ungern auseinandersetze, hat mich das Buch begeistert.
„Das kleine Mädchen Hoffnung nimmt uns bei der Hand und zwingt uns mit der Beharrlichkeit eines eigensinnigen Kindes, den Blick auf anderes, auf Neues zu richten. Den Blick auf Hoffnungsträger und Hoffnungsgeschichten. Den Blick auf das, was wir tun können, um selbst Hoffnungsträger und Hoffnungsbringer zu sein.“
So schreibt Clemens Sedmak in seinem Buch und schon habe ich ein Bild vor mir:
Vor der von Thomas Matt beschriebenen „unangenehm lebendigen Ballerina namens Corona, die unverdrossen ihre Pirouetten dreht“ baut sich das eigensinnige kleine Mädchen Hoffnung auf. Breitbeinig steht es da, mit entschlossenem Blick. Wer die geballte Kraft eines sturen Kleinkindes schon einmal zu spüren bekommen hat, weiß, dass das kleine Mädchen gewinnt. Die Ballerina wird entnervt von der Bühne flüchten und sie dem kleinen Mädchen Hoffnung überlassen.
An dieser Stelle bitte ich alle Ballerinen um Verzeihung, wobei sich unter den Freund*innen des Montagsforums vermutlich nicht viele finden dürften. Aber vielleicht Kenner*innen des Balletts, die folgende Frage beantworten können: wie hieß sie denn, die wohl berühmteste russische Balletttänzerin aller Zeiten, nach der sogar eine Torte benannt wurde?
Womit wir schon wieder beim Essen wären. Aber wie schon Wilhelm Busch zu sagen pflegte: „Lieber ein bißchen zu gut gegessen, als wie zu erbärmlich getrunken“. Grammatikalisch fragwürdig, aber inhaltlich absolut korrekt.
In diesem Sinne: Lassen Sie es sich so gut wie möglich gehen!
Herzliche Grüße
Bettina Barnay