Liebe Freundinnen und Freunde des Montagsforums,

herrje, das waren Zeiten, als man noch Briefe schrieb! Sie erinnern sich? Draußen hatte über Nacht der Herbst die Zügel übernommen, ein kalter Wind ordnete das fallende Laub immer wieder von neuem zu krausen Figuren und schob Wolkengemälde über den Himmel. An solchen Tagen wuchsen den Gedanken Flügel, man entsann sich lieber Menschen, die man den Sommer über sträflich vernachlässig hatte. In der obersten Schreibtischschublade warteten geduldig Bögen cremefarbenen Papiers, und eh man sich’s versah, saß man darüber und zögerlich glitt der Stift über den noch leeren Brief. 

Es dauerte eine ganze Weile. Man schrieb mit Bedacht. Anders als heute stand eine „Löschtaste“ ja nicht zur Verfügung, und Ausgebessertes blieb immer sichtbar. Der „Tintentod“ hinterließ hässliche Flecken, die für immer daran erinnerten, dass hierorts ein Buchstabe sein Leben ließ. Wer will das schon? Also skizzierten die einen mit Bleistift den Text erst auf einen Block, strichen aus, formulierten neu, sudelten nach Herzenslust, ehe sie die Sätze übertrugen. Andere ließen sich Zeit. Formulierten druckreif aus dem Gedächtnis. Das können bis heute nur wenige. 

Im Montagsforum haben wir solche Sprachwunder schon hören dürfen. Ich hab Josef Imbach noch im Ohr, wie er mit sonorer Stimme wortgewaltig biblische Szenen im Saal erstehen ließ. Oder Thea Dorn, die uns im Mai 2019 auf der Suche nach Heimat mit romantischen Gedichten von Eichendorff und Novalis entwaffnete. Ausgerechnet uns, die Bürgerinnen und Bürger des 21. Jahrhunderts, die wir in unserer ganzen Auf- und Abgeklärtheit der Romantik doch spöttisch den Rücken kehren…

Aber zum einen hat der Prozess der Aufklärung offenbar noch ganz schön viel Luft nach oben, wenn der Mensch so simple Dinge wie Händewaschen, Maske tragen und Abstand halten einfach nicht begreifen will. Zum anderen werden so innige, persönliche Texte wie Gedichte und Briefe in Zeiten zwangsverordneter Distanz wichtiger denn je. 

Julian Nida-Rümelin, der heute unter anderen Umständen zu Ihnen spräche, entfaltete vor Ihren Augen eine ganze Philosophie humaner Bildung. Nun, er wird es mit Sicherheit noch tun, wenn die Pandemie dereinst abgeklungen ist. Bis dahin kehren wir zurück in unsere Kammern und Wohnzimmer, Wintergärten und Salons und lesen aus alten Briefen hinreißende, herzerwärmende Worte. Auch ganz verrückte, wie sie etwa Cyrano de Bergerac (1619 bis 1655) seiner Angebeteten zu Füßen legte:  

„Also kann ich annehmen, Madame, dass ich anfing zu sterben, als ich begann, Sie zu lieben, weil der Tod eine Trennung von Geist und Körper ist und weil ich von dem Augenblick, als ich Sie sah, meinen Verstand verlor.“

Vermutlich wissen Sie, dass Edmond Rostand aus der Provence den Helden mit Degen und langer Nase 1897 auf die Bühne brachte und damit eine ungemein begehrte Rolle schuf. Gerard Depardieu hat den dichtenden Raufbold im Kino verkörpert. Cyrano dient im Theater und auf der Leinwand bei den „Gascogner Kadetten“. Diese Kompanie gab es wirklich und sie verdankt ihren literarischen Ruhm noch einem ganz anderen berühmten Roman, der gleich drei Helden im Titel trägt. Wissen Sie, wie er heißt und wer ihn geschrieben hat?

Bis dahin verbleibe ich mit den herzlichsten Grüßen

Ihr Thomas Matt

(der sich angesichts der Witterung herzerwärmender Literatur in die Arme warf)