Liebe Freundinnen und Freunde des Montagsforums,
Es ist gut, dass ich grundsätzlich nicht neidisch bin.
Eine Vespa hat er, der Thomas Matt. Wollt ich immer, haben mir meine Eltern aber nicht gestattet. Kennen Sie den Satz: „Aaaaaaalle haben ein Mofa nur ich nicht!!!“?
Hat aber nichts genützt, der Deal war: motorisiertes Zweirad oder Führerschein mit 18. Na was werde ich wohl gewählt haben. Immerhin durfte ich einige Monate lang den Schulweg mit einem – geliehenen – Solex bewältigen. Die Römerstraße rauf haben mich meine anständig motorisierten Freundinnen zwar laut lachend überholt, aber das Solex war wenigstens ein bisschen lässiger als ein Fahrrad.
Meinen Jugendwunsch habe ich mir bis heute nicht erfüllt, deswegen habe ich, während Thomas Matt mit seiner Vespa die erste Frühlingsrunde gedreht hat, auf meinem Balkon die grünen Spitzchen jener Pflanzen gezählt, die ich vor wenigen Wochen ausgesät hatte. Eine Bienenweide soll es werden. Große Freude, es waren viele Spitzchen. Sie wissen, wie es dann wettermäßig weitergegangen ist…
Aber die Spitzchen haben dem kalten Nass getrotzt, sie sind wie wir. Wir trotzen auch. Und wenn uns die Nachrichten rund um dieses verteufelte Ding das uns nun schon seit mehr als einem Jahr quält niederdrücken, geben wir unser Bestes, um mit dem nächsten Sonnenstrahl wieder aufzustehen.
Mit Sonnenstrahl meine ich nicht nur die echte, richtige Sonne, damit meine ich auch sogenannte Sonnenpunkte. Schöne Momente im Leben.
Ein Beispiel: Meinem sturen, kindlichen Optimismus treu bleibend, habe ich für den 2. Juli ein Zimmer in einem traumschönen Hotel in Südtirol gebucht. Am Abend des 2. Juli tritt meine Lieblingsband im Nachbarort auf, am Tag danach spielt sie am Vormittag in eben dem Hotel in dem ich nächtigen werde. Ich habe ALUNA noch nie live gehört, obwohl ich ihre Musik, also ihre CDs, seit rund 15 Jahren kenne.
12 Wochen dauert es noch, nicht einmal mehr ganz, dann ist es soweit. Dann werde ich sie erleben, die 5 Herren.
Damit Sie einen kleinen Eindruck bekommen, falls Sie möchten, hier ein link: https://www.youtube.com/watch?v=CqOGrD-TEBE
Wann immer ich an den 2. Juli denke, oder den Eintrag im Kalender sehe, zieht es mir ein breites Lächeln auf. Vorfreude pur!
Sie fragen sich jetzt vielleicht, wie ich reagieren werde, wenn da nix draus wird. Ganz einfach, dann werde ich kurzfristig grantig sein, sehr grantig und traurig. Vermutlich werde ich Schokolade essen (Salty-Peanut-Caramel wirkt immer) und dann werde ich wissen, dass meine Lieblingsband am 2. Juli nicht zum letzten Mal auftreten wird. Und immerhin habe ich mich ein paar Wochen lang sehr gefreut!
Naiv? Kann sein, aber ich freu mich halt gerne.
Über den Montagsimpuls von Thomas Matt habe ich mich auch gefreut, weil er wieder Erinnerungen hochgespült hat, die mich zum Grinsen bringen.
In dem von ihm erwähnten Kiosk in Bregenz, der dem Milchpilz gegenüberstand, habe ich eine Zeit lang gearbeitet! Im Sommer nach meinem Studienabschluss habe ich dort Eis verkauft, Ansichtskarten, Stroh Rum, Souvenirs und Zuckerlen. Und einmal einen hölzernen Rosenkranz und – wenn ich mich richtig erinnere – auch ein Hirschgeweih.
Die Kunden an diesem Kiosk waren in sehr seltenen Fällen hochgeistige, der Höflichkeit verpflichtete Menschen. Eher im Gegenteil. Des Öfteren geschah es, dass in sehr unwirschem Ton “ Ein Eis!“ verlangt wurde.
Wir hatten viele verschiedene Sorten und ich hätte gerne gewusst, ob mich die potentiellen Eis Esser wohl für hellseherisch veranlagt hielten, weil sie mir nicht sagten welches Eis sie denn gerne hätten.
Auf meine diesbezügliche, freundliche Nachfrage bellten sie mir „Cornetto“ entgegen. Das gab´s auch in mehreren Sorten. Ich legte ihnen Vanille hin – das traf´s meistens – und verkniff mir schweren Herzens den Hinweis, dass ein freundliches „bitte“ und die Verwendung von ganzen Sätzen die Kommunikation zwischen zwei Menschen maßgeblich verbessert.
Sie waren ja bald wieder weg. Und das war gut so.
Damals habe ich gelernt, wie wichtig es ist, ALLEN Menschen gegenüber mit Höflichkeit und Aufmerksamkeit zu begegnen. Ihnen in die Augen zu schauen, wenn man sie um etwas bittet und ihnen für Ihre Arbeit zu danken. Verkaufspersonal, Servicekräften, den armen Menschen die uns in der Nase bohren müssen, damit wir ins Konzert oder ins Gasthaus gehen dürfen oder jenen, die uns impfen… Die Liste kann/darf beliebig fortgesetzt werden.
Es wird jetzt immer wichtiger, dass wir das nicht vergessen. Ich ertappe mich selbst dabei, wie ich in einem Kokon aus: „ich darf niemanden berühren und niemandem zu nahekommen“ zu verschwinden drohe. Ein Kokon ist nicht durchsichtig, also sehe ich niemanden und werde scheinbar auch nicht gesehen. So fühlt sich der momentane Zustand zumindest manchmal an, so reagiere ich zeitweise auf meine Umwelt bis ich erschreckt zu meinem wahren Ich zurückfinde.
Der Begriff „social distancing“, den man uns seit Monaten um die Ohren haut, ist verstörend irreführend. Wir dürfen nicht sozial distanziert werden, wir müssen nur räumlich Abstand halten. Nur….ich weiß schon, das ist schwierig genug bei Menschen die wir mögen.
Selten war Freundlichkeit und Aufmerksamkeit gegenüber anderen wichtiger als jetzt. Und Hoffnung und nicht nachlassende, oder wieder aufflammende Lebensfreude.
Lange habe ich darüber nachgedacht, ob mir ein Buch einfällt, das zu den beiden letzten Sätzen passen würde. Ich bin gescheitert. Haben Sie einen Tipp für mich? Aber bitte nichts aus dem Genre der Lebensratgeber. Das geht grad gar nicht.
Bei mir ist es halt doch immer wieder die Musik, die mir den nötigen Treibstoff liefert, den ich benötige um die nächsten Kilometer durchzuhalten. Vielleicht haben Sie das Konzert mit Kirill Petrenko und den Berliner Philharmonikern auf ARTE gesehen (Tschaikowsky und Rachmaninow). Das war Freude pur. Es lohnt sich, das Konzert in der Digital Concert Hall nachzusehen. Diese überbordende Glückseligkeit, mit der Petrenko dirigiert…einfach herrlich.
Auch sehr schön und kostenlos zum Unterschied von der Digital Concert Hall (die sich dennoch rentiert, besonders jetzt):
https://www.youtube.com/watch?v=-Tm0Phjiouk
Alfred Brendel und das Lucerne Festival Orchestra unter der Leitung von Claudio Abbado mit dem 3. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven. Da ist auch alles drin, was wir in den letzten Monaten gefühlt haben. Und dieses wunderbare Tempo, das die beiden Meister gewählt haben. Endlich einmal nicht zu schnell. Tut gut!
Wo immer Sie Ihren Treibstoff fürs Leben herbekommen: aus Waldspaziergängen, vom Vespa fahren, dem Espresso, den Ihnen der Mensch Ihres Herzens hinstellt, weil er/sie spürt, dass sie ihn jetzt brauchen, einem guten Buch, der Musik, einem Gespräch mit einem Menschen von dem Sie sich verstanden fühlen – ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie immer wieder auftanken können.
Wir schaffen das!
Sehr herzliche Grüße
Bettina Barnay